Ich habe zu viele Bücher. Kennst du vielleicht. Doch dieses Mal waren sie final zu viele. Zumindest zu viele auf kleiner Fläche. Das Regal ächzte und fiel von der Wand. Bücher segelten durch die Luft und ich sprang auf. Mein Herz raste und gleichzeitig drängte sich die Hoffnung auf, dass den papierenen Freunden nichts passiert ist. Zum Glück überlebten die meisten unbeschadet, ein paar trugen jedoch leichte Wunden auf dem Einband davon. Nichts was sie nicht verkraften könnten.
Dieser Vorfall ist eine ganze Weile her, ich habe den Schrecken verdaut und stelle meine Bücher nur noch in stehende Regale. Sicher ist sicher. Die Verwundeten von damals habe ich verarztet, sofern es nötig war, ansonsten standen sie eben mit ihren Narben in meiner Sammlung.
Eins dieser Bücher, die nicht ganz heile aus dem Zwischenfall hervorgingen, war ein älteres Sagenbuch. Es war schon vorher ein wenig lädiert gewesen, der Einband fleckig von den Kinderhänden, die es über mehrere Generationen hinweg gelesen hatten.
Und so kam es, dass dieses Buch einen gänzlich neuen Einband bekommen sollte. Dieses Mal nicht nur schnödes Gewebe mit einer winzigen Prägung, sondern etwas schickes aus Leder.
Kurzum: Dieses Buchbinde-Projekt wurde ein Übungsstück, mit dem ich mir bereits Gelerntes in Erinnerung holen und Neues lernen wollte. Deswegen durfte es ein bissl aufwändiger werden.
Wichtigste Materialien
- Titelleder in Grün. Titelleder sind bereits dünn ausgeschärfte Leder, die so heißen, weil sie mitunter für Titelschilder verwendet werden. Eins der wenigen Leder, bei denen man sich das Ausschärfen der Einschläge sparen kann. Das Fell, das ich für dieses Projekt verwendet habe ist B-Ware mit leichten Farbflecken an manchen Stellen.
- Buchblock aus einer Reparatur. Der Inhalt dieses Buches enthält eine Sammlung von deutschen Sagen über Helden und Göttern. Der Text wird um Tusche-Illustrationen ergänzt und ist auf manchen Seiten mit Buntstiften, nun, nennen wir es »ausgemalt«.
- Holzfunierpapier. Dieses Papier habe ich für die Vorsätze verwendet und bin froh, dass der Bogen mit diesem Projekt weitestgehend aufgebraucht ist.
- Finnische Holzpappe. Um die Rune "bjarkan" zu bilden.
Anleitungen
Format
Das Format wurde durch den Buchblock vorgegeben. Bei der ersten Fertigung des Buches wurde dieser natürlich schon beschnitten und auch meine Heftung war recht sauber, sodass kein großer Versatz zwischen den Lagen entstand. Doch im Laufe der Zeit geht das Papier eines Buchblock um Bruchteile eines Millimeters. Das liegt an den wechselnden Temperaturen und Luftfeuchtigkeit in unseren Wohnräumen. Es ist aber an sich nicht schlimm, dass die alten Buchblöcke nicht mehr so aalglatt sind, wie frisch beschnittene. Trotzdem habe ich entschieden, den Buchschnitt neu zu machen, weil das ganze Buch einen neuen Einband bekommt. Dadurch gingen ein paar Millimeter in Höhe und Breite verloren.
Eine Material-Entscheidung wog diese verlorenen Millimeter allerdings locker wieder aus. Für das Stechen eines Kapitals werden normalerweise selbst gerollte Kerne, sogenannte Würmchen, mit farbigem Garn umwickelt. Ich wollte jedoch mal was anderes ausprobieren und habe eine dicke Lederschnur als Würmchen verwendet. Da diese Oben und Unten aufträgt, bestimmt sie die Deckelhöhe mit, wodurch die umlaufenden Kanten größer wurden als ich sie üblicherweise mache. Ungewohnt, aber in der Gesamtgestaltung sieht es sehr stimmig und ein wenig rustikaler aus. Das passt, wie ich finde, zu alten, deutschen Sagen.
Gestaltungmotiv: Die Rune bjarkan
Bei dem Einband selbst wollte ich ein wenig experimentieren und gleichzeitig Runen in die Gestaltung einbeziehen. Zuerst kam mir ein geprägtes Band in den Sinn, wo ich in einer Runenschrift den Titel des Buches auf dem Einband verewige. Doch mal abgesehen davon, dass es keine sichere Umsetzung gab, zumindest nicht ohne einen Prägestempel und eine dazugehörige Presse oder Leder, das sich zum Punzieren eignet, kam es mir auch ziemlich plump vor. Zudem sind einige Runen leider durch ihren historischen Gebrauch gebrandmarkt, sodass ich durch mein Runenbuch stöberte, auf der Suche nach einer Rune, die für sich allein zum Inhalt des Buches passt. Meine Wahl fiel auf bjarkan aus dem jüngeren Futhark, eine Rune, die einem eckigen B ähnelt.
Diese Rune steht für die Transformation, die Entwicklung und den Ablauf des Lebens und findet sich damit in den grundlegenden Motiven der Geschichten in diesem Buch wieder.
Alle Runen sind geometrisch, was ihren Einsatz in der Buchbinderei einfach macht. Mit den Maßen für den Einband und der Rune im Kopf machte ich ein paar schnelle Skizzen, entschied mich für ein Design und übertrug es in den originalen Größenverhältnissen auf Millimeterpapier. An dieser Vorlage konnte ich mit den Winkeln und Proportionen der Rune experimentieren, ohne Material zu verschwenden.
Unterlegung & Auflage
Zuletzt entschied ich die Rune aus Pappe zu formen, die ich unter das Einbandmaterial legen würde. Dadurch entsteht eine Erhebung, die auf dem Einband deutlich sichtbar ist. Die lange Linie der Rune setzt dabei gleich an der Deckelkante am Falz an und die Wölbungen des "B"s liegen in Form zweiter Dreiecke auf Vorder- und Rückdeckel. Die innenliegenden Dreiecke zwischen Unterlegung und Falz habe ich dann mit dem gleichen Papier verziert, dass ich für die Vorsätze verwendet habe und holte so Materialien von Innen nach Außen auf den Einband.
Das Motiv der Dreiecke wiederholt sich auf dem Rücken des Buches, wo sie jedes für sich Kopf und Fuß flankieren und das Buch eindeutig kennzeichnen, ohne dass ich eine Titelprägung vorgenommen habe.
Prägung mit einer Filete
Parallel zu den Linien der Rune setzte mit einer Filete ich eine Blindprägung auf den Einband. Erst hatte ich vor, diese noch mit Komposit-Metall zu vergolden, doch nachdem die Linie fertig war, stimmte die gesamte Erscheinung des Einbands so sehr, dass eine Vergoldung möglicherweise zu viel gewesen wäre. Deswegen hab ich's dann bei der Blindprägung belassen.
Dieses Projekt ist, von der Entfernung des alten Einbands, über die Gedanken zur Gestaltung bis hin zur Fertigung des Einbands in allen Einzelschritten, während Livestreams auf Twitch entstanden. Wenn du mir dabei zusehen möchtest, wie ich viele weitere Bücher binde oder repariere, folge mir und aktiviere die Glocke, damit du immer Bescheid bekommst, wenn ich online gehe.
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