Buchrücken: hohl vs. verbundenen – Eine Entscheidungshilfe

Es ist ärgerlich, wenn ein Taschenbuch Knicke auf dem Buchrücken bekommt. Ich gehe sachte mit meinen Büchern um, schlage sie nie zu weit auf oder, die Buch-Götter mögen mich bewahren, lege das Buch auf den geöffneten Seiten ab, um mir die Stelle zu merken, an der ich zuletzt war. Schließlich ist der Rücken, der Teil des Buches, der mir jahrelang sichtbar zugekehrt ist, wenn das Buch im Regal steht und mich mit verheißungsvollem Titel lockt, bis ich es nochmal lese. Dann sollte dieser Teil auch ansehnlich sein und mit strahlender Unversehrtheit glänzen. 

Ein gebrochener Buchrücken bei einem Taschenbuch

Bei Hardcover-Büchern gibt es dieses Problem nicht. Ich bevorzuge sie deswegen, auch wenn sie teurer sind.

Doch warum ist das überhaupt so?

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, eröffne ich den Ring zu einem neuen Wettstreit der Buchbinde-Techniken:

Der hohle Buchrücken 

Dass ein Buch mit festem Einband zwangsläufig bedeutet, dass der Rücken hohl ist, ist ein vorschneller Trugschluss, auch wenn du die Ausnahme sicher nicht in einer heutigen Buchhandlung finden wirst. Um den Vergleich zu finden, müssen wir einen Schritt zurück in die Vergangenheit machen.

Wodurch definiert sich ein Buch mit hohlem Rücken eigentlich?

Bei einem Buch mit hohlem Rücken ist die Einband-Decke, dort wo sie über den Rücken des Buchblocks verläuft, mit einem Karton oder einer Pappe unterlegt. Dieser Karton, auch Schrenz genannt, klebt dabei nicht auf dem Rücken des Buchblocks, sondern nur auf dem Überzug. Links und rechts von der Rückeneinlage ist der Falz, bevor die Deckelpappen anschließen.

Wenn du ein Buch vor dir stehend aufschlägst, wölbt sich der Buchblock am Rücken dir entgegen. Die Rückeneinlage macht die genau gegenteilige Bewegung und beugt sich in die andere Richtung, von dir weg. Auf diese Weise entsteht ein augenförmiges Loch zwischen Rückeneinlage und Buchblock – der hohle Rücken also. 

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Dieses Prinzip ist genial, denn es erzeugt wenig Gegendruck auf den Buchrücken, wenn du das Buch öffnest. Die Kraft wird in die Rückeneinlage abgeleitet, die ihrer Form entsprechend nachgibt. 

Als höchste Form dieser Technik ist den Springrücken-Band, bei dem der Rücken derart gestaltet ist, dass dir der Buchblock beim Öffnen entgegenkommt und das Buch ganz flach vor dir liegt. Diese spezielle Bindung wurde früher verwendet, um Geschäftsbücher zu binden, bei denen bis zum Falzbruch Vorgänge in Tabellen eingetragen wurden.

Das richtige Maß des hohlen Rückens

Der Nachteil des hohlen Rückens ist, dass Falz und Vorsätze beim Aufschlagen belastet werden, wenn die Rückeneinlage nicht richtig bemessen oder die Bindung schief gefügt ist. Vor allem Rückeneinlagen, die zu groß sind, üben Spannung aus. Zu kleine Rückeneinlagen sitzen zu dicht am Buchblock und können nicht entspannen, solange das Buch geschlossen ist. 

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Eine richtig schöne Rückeneinlage überragt den Rücken des Buchblocks ein wenig, so dass auch die Deckelpappen von ihr abgedeckt werden. Du kannst es erkennen, wenn ein Buch geschlossen vor dir liegt und der Rücken weder von dem Tisch hochgedrückt wird, noch ihn nicht zu berühren vermag. Die Kante der Rückeneinlage und der Deckel sind schön auf einer Ebene. Das sind Feinheiten von Bruchteilen eines Millimeters und es ist gar nicht so einfach, eine perfekte Rückeneinlage zu herzustellen. Zum Glück gibt es einen Spielraum, in dem man zwar mit dem bloßen Auge erkennen kann, dass die Rückeneinlage zu groß oder zu klein ist, die Belastungen dadurch aber nicht der Rede wert sind. Nur die Extreme führen, mal abgesehen von der optischen Unstimmigkeit, zum vorzeitigen Verschleiß von Falz und Vorsatz.

Angeklebte Buchrücken beim festen Einband?

Bei angeklebten Buchrücken macht alles viel einfacher… oder sehr viel komplizierter.

Das gängigste Beispiel für einen angeklebten Rücken ist ein Taschenbuch – beziehungsweise technisch gesehen eine Broschur mit zwei-, vier- oder sechsmal gerilltem Umschlag, wie die Buchbinderin im Fachsprech sagt. 

Dabei wird der Umschlag oder Einband direkt mit dem Rücken verleimt. Das Maß des Rückens entspricht dabei der Buchblockdicke an der gebundenen Seite.

BB 2024 06 20 Hohler Ruecken Buch 2 - Taschenbuch mit Fadenheftung

Auch wenn es in der Massenfertigung von Büchern eher unüblich ist: Es ist dabei egal, ob der Buchblock fadengeheftet wurde. Meistens findet man jedoch Klebebindungen. Nur die Steigung sollte möglichst gering sein, sonst bildet das gesamte Buch eine unattraktive Keilform aus.

Die Steigung wiederum ist ein Zusammenspiel aus Papiereigenschaften und Bindung. Bei Klebebindungen presst du den Buchblock nach dem Leimen so fest, wie es geht, zusammen und umspannst ihn mit Gaze, um die Steigung zu vermindern.

Bei einer Fadenheftung trägt Papier beim Falzen, Zwirn, Heftband und Leim am Buchrücken auf. Was bei dünnen Buchblöcken möglicherweise nicht einmal auffällt, kann bei dickeren zu Problemen führen, die durch weitere technische Kniffe gelöst werden. Die einfachste ist, den Buchblock zu runden und damit die Steigung über eine größere Fläche zu verteilen und auszugleichen.

Nun werden Taschenbücher nicht gerundet, weswegen sie selbst zum Rundwerden neigen – aber in die falsche Richtung. Es gibt keinen Gegenzug, der sie davon abhält, weil der Rücken des Umschlags die Bewegung ohne Probleme mitmachen kann.

Fadenheftungen sind davor mehr gefeit, weil sie in sich stabiler sind, allerdings ist kaum ein Taschenbuch so ausgestattet.

Diese negative Rundung tritt auf, wenn ein Buch häufig gelesen wird oder bei umlaufenden Kanten und festen Deckeln “aus dem Rücken fällt”, weil das Gewicht der Seiten den Buchblock runterzieht. Bei Taschenbüchern hilft es meistens, das Buch wieder gerade zu drücken und mit einem Gewicht beschwert liegen zu lassen. Zumindest, wenn du es danach wieder in den Schrank stellst und es in Ruhe lässt.

Doch wie kommen nun die festen Deckel an ein Taschenbuch, wenn doch der Rücken immer gleich groß ist, wie der des Buchblocks? Schließlich tragen die Deckel auf und haben dort dann keinen Platz. 

Wäre doch gelacht, wenn es dafür keine Lösung gäbe, denn Buchbinder sind findig und haben sich dafür etwas ausgedacht. Wir machen einfach den Rücken breiter!

Der Franzband & der tiefe Falz

Wie? Wir machen den Rücken breiter? Wie soll das denn klappen bei einem fertig gebundenen Buch?

Um es vorweg zu sagen: Die Technik des Franzbandes, mit versenkten Deckeln und am Buchblock gearbeiteten Rücken, gibt es schon länger als Taschenbücher und hohle Rücken zusammen. Beides war eine Entwicklung der industriellen Buchbinderei, bei der es lästig wurde, Buch um Buch vollständig fertigen zu müssen. Also trennte die industrielle Buchbinderei die Fertigung von Einband und Buchblock. Im Handwerk wurde diese Praxis übernommen und ich unterweise dieses Vorgehen auch auf Selberbuchbinden.

Aber zurück zum Franzband. Die Voraussetzung ist erstmal, dass du einen fadengehefteten Buchblock mit Steigung und Bünden hast. Als Einbandmaterial eignet sich am besten Leder oder Pergament. Alle anderen Materialien ermüden zu schnell unter der Belastung, ständig geknickt zu werden – du erinnerst dich sicher an die Einleitung mit dem unschönen Knick auf dem Buchrücken. 

Nach dem Heften, Beschneiden, Dekorieren des Schnitts und Runden wird der Buchblock in eine Presse eingespannt und die Lagen am Falz auseinandergedrückt und geschoben, bis der Buchblock am Rücken von der Schnittkante aus gesehen aussieht wie ein Pilz. Dadurch steht der Falz der ersten und letzten Lagen im rechten Winkel zum Rest des Buchblocks und bildet eine formschöne Vertiefung, in die die Deckel eingelegt werden können. Diese werden dann mittels der Bünde am Buchblock angebracht, noch sind sie nicht überzogen, und das Buch wandert zurück in die Presse. 

Der Rücken wird angeleimt und das Überzugsmaterial, zuvor schon an Einschlägen und Falz ausgeschärft, wird direkt auf den Rücken geklebt. Damit die Bünde deutlich hervortreten, werden sie umspannt und so fixiert, dass das Material in dieser gezwungenen Position trocknen kann. 

Dann erst werden die Deckel überzogen, der Einband dekoriert und fertig gestellt. 

Der Franzband ist eine bei Buchbindern recht beliebte “schöne” Bindung, die ein gutes Werkstück für eine Meisterprüfung abgibt. Historisch gesehen wurden aber alle Bücher auf die Weise gefertigt, dass das Einbandmaterial mehr oder minder direkt auf die Bindung geklebt wurde.

 Warum ich so eindeutig bin, und trotzdem hier keine ganze Anleitung dazu schreibe? 
Allein das Schärfen von Leder und das Stechen eines handgemachten Kapitals sind so aufwendig, dass ich ganze Kapitel im Zirkel der Selberbuchbinder damit gefüllt habe. Wenn du es lernen möchtest, kannst du dort gerne vorbeischauen und bekommst individuelle Begleitung und Feedback noch obendrauf.

Die größte Schwachstelle des verbundenen Buchrückens

Doch eigentlich möchte ich den größten Schwachpunkt verdeutlichen: Ein Buch auf diese Weise zu binden, ist nicht nur aufwendig und anspruchsvoll, es verzeiht zudem keine Fehler. 

Wie dir vielleicht aufgefallen ist, kommt das Dekor des Einbands zum Schluss. Meistens sind es Prägungen, die mittels Fileten mit der Hand aufgebracht und vergoldet werden. Eine Prägung mit einer Maschine wäre möglich, aber das Risiko bleibt, dass etwas schief geht. Je unerfahrener du bist, desto frustrierender kann die Umsetzung werden. 

In dem Fall ist nicht nur der Einband missglückt, sondern der Buchblock mittunter ebenfalls ruiniert. Schließlich ist das Überzugsmaterial fest mit ihm verklebt. Du musst alles wieder auflösen und von vorn beginnen.

Kurzum: Es ist vergleichsweise schwierig, ein Buch auf diese Weise herzustellen. Es benötigt viel Zeit und einiges an Erfahrung. Und es bleibt das Problem der gebrochenen Rücken. Leder und Pergament sind geduldiger als Karton – Knickstellen bilden sich nicht so schnell heraus. Aber auch sie brechen irgendwann, vor allem, wenn sie nicht gut gepflegt, das heißt regelmäßig eingefettet werden. Zudem werden solche Bücher nicht aufgeschlagen, wie heutige Bücher. Stattdessen hielt man sie so in der Hand, dass sie nur weit genug geöffnet waren, dass man im Spalt zwischen den Seiten lesen konnte oder sie wurden auf Pulten platziert, mit Keilen unter beiden Deckeln, die verhinderten, dass der Rücken zu weit aufgebogen wird.

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Ich empfehle dir, es am Anfang für eine Weile bei Büchern mit hohlem Rücken zu belassen; schließlich kannst du dabei Buchblock und Einband getrennt voneinander fertigen und beides zusammenfügen, wenn es dir gelungen scheint. In Punkto Dekor- und Bindetechniken steht dir die gleiche Fülle an Möglichkeiten offen wie bei einem Buch mit verbundenem Einband.

Oder du versuchst dich an den Bindungen mit offenem Rücken, bei denen diese ganze Thematik keine Rolle spielt.

Moin, ich bin Franja

Ich bin buchverliebt seit Kindesbeinen und es fiel mir nicht schwer, mein Leben den Büchern zu widmen. 

Ich schreibe selber und binde Bücher, bis jetzt – weiter Buchkünste kommen bestimmt noch hinzu.


Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht allen Buchbegeisterten die Kunst und das Handwerk rund ums Buch zu zeigen und zu lehren.

Ich gebe Workshops und leite den Zirkel der Selberbuchbinder, einen Online-Kurs mit Livetreffen.

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